Für mein heutiges Interview durfte ich der „Geschichtenhebamme“ Ann-Kristin Vinterberg Löcher in den Bauch fragen. Sie erzählt mir unter anderem von ihrem kleinen Gespenstermädchen „Spensa“, das wir auch schon kennen und lieben lernen durften. Außerdem warum sie Dänemark liebt, wie viel sie am Tag schreibt, wie sie anderen Autoren beim Schreiben hilft, warum sie Schnecken gerne hat und wieso sie gerne eine Küstenschwalbe wäre. Ihr seid neugierig geworden? Dann will ich euch nicht weiter auf die Folter spannen. Und schon geht es los:

Lesetier: Liebe Ann-Kristin Vinterberg, könntest du dich für alle Leser zu Beginn etwas vorstellen?

Ann-Kristin Vinterberg: Ich bin Eva Maria Nielsen, aber wenn ich Bücher schreibe, egal ob für junge oder alte Leser, dann bin ich Ann-Kristin Vinterberg. Denn ich wohne, lebe, arbeite in Dänemark. Ich liebe meine Stadt, Kopenhagen, wo ich in einer Welt aus Blau und Grün lebe. Ich mag den dänischen trockenen, fast bissigen Humor, die weißen Nächte des Sommers mit den lindgrünen Farben und die dunklen Winter, wo überall Kerzen brennen. Ich mag dänisches „hygge“ und dass wir miteinander in Augenhöhe verkehren. Aufgewachsen bin ich Paderborn, habe einige Jahre in Südfrankreich gelebt, doch dann hat mein Wikinger mich nicht geraubt, aber doch in den Norden entführt. Aus war es mit dem Traum von Lavendelfeldern und Baguette. Ich bin schwer hörbehindert, auf einem Ohr taub und höre jetzt mit dem Cochlear Implantat. Und gerade dieses nicht hören können, hat mich in die Welt der Bücher katapultiert. Ich wollte als Kind die Welt erobern, verstehen, was andere sagten, nicht ausgelacht werden, wenn ich mich wieder einmal falsch ausdrückte und ich wollte dazu gehören … Und so habe ich gelesen, gelesen und gelesen und mich in Welten entführen lassen. Ich habe tausende von Leben gelebt und vor allem gelernt: Auch wenn wir sehr unterschiedliche Menschen sind, die grundlegenden Sehnsüchte und Träume teilen wir alle. Sie sind die „conditio humana“, das  grundlegend menschliche, das uns alle verbindet. Und noch etwas hat mich mein Anders-Sein gelehrt: Jeder hat seine Fähigkeiten, seine Stärken und jeder ist gut auf seine Weise, kostbar als der, der er ist. Und das Leben ist viel zu schön, als sich durch solche Petitessen begrenzen zu lassen.

Foto: Eva Maria Nielsen – unter Lesern besser bekannt als Ann-Kristin Vinterberg

Lesetier: Welche Bücher hast du bisher geschrieben?

Ann-Kristin Vinterberg: Bisher war ich als Liebesromanautorin unterwegs, habe also für Erwachsene geschrieben, die Skandinavien, vor allem meine Wahlheimat Dänemark lieben. Da gibt es die Madsen-Reihe Schneefrau küsst Schneemann, Der Duft von Broken Leaf, Lied des Lebens und dann eine Kurzgeschichtensammlung Honigkind, sowie ein romantischer Spannungsroman Das Dünenhaus. Aber ich habe momentan einfach Lust für Kinder und Jugendliche zu schreiben. So erschien Spensa in diesem Frühjahr, ich arbeite momentan an einem zweiten Band.

Spensa – das erste Kinderbuch von Ann-Kristin Vinterberg

Lesetier: Wann hast du angefangen Kinderbücher zu schreiben?

Ann-Kristin Vinterberg: Ich habe einige Kinderbücher in der Schublade, aber ich habe erst mit Spensa gewagt, an die Öffentlichkeit zu treten. Kinder- und Jugendbuchautoren sind Meister ihres Fachs und ich habe mich da erst nicht richtig getraut. Spensa ist ein Herzensprojekt. Genauso wie eine Geschwisterkindgeschichte, die momentan bei einem Verlag liegt, wo ich eine Kooperation mit der deutschen Hospizbewegung anstrebe…

Lesetier: Das klingt sehr vielversprechend. Was ist dir persönlich bei Kinderbüchern wichtig? Worauf achtest du besonders?

Ann-Kristin Vinterberg: Wichtig ist mir vieles. Situationskomik, lustige Wortspiele, aber auch eine positive, ermutigende Botschaft, die Lust auf das Leben macht und Entdeckerherzen höher schlagen lässt. Es darf gern realistisch sein, aber es sollte immer Mut machen und das Kind mit dem Gefühl zurücklassen: Auch wenn ich anders bin, ich bin wunderbar so, wie ich bin. Ein Geschenk für die Welt.So wa r das ja bei Spensa. Ich will jetzt nicht spoilern, aber sie hat schwarze Hände und das kratzt sehr an ihrem Selbstbewusstsein. Gehört sie wirklich zur Familie? Ist sie überhaupt ein richtiges Gespenst? Und die Familie besteht nur aus Mutter und drei Kindern … doch alles löst sich wunderbar auf am Ende. In der Geschichte gibt es also Erfahrungen aus der Lebenswelt vieler Kinder.

Foto: Ann-Kristin Vinterberg

Lesetier: Bist du denn eigentlich hauptberuflich Schriftstellerin? Oder hast du noch einen anderen Hauptjob? Wenn ja, was machst du sonst so?

Ann-Kristin Vinterberg: Viel. Mein Leben besteht aus Geschichten. Ich arbeite seit über zwanzig Jahren in einem dänischen Sachbuchverlag, habe aber auch als Kolumnenschreiberin mein Geld verdient. Heute arbeite ich sowohl Teilzeit im Verlag, lektoriere die Texte anderer Autoren und arbeite als Mentorin oder Coach für Autoren, die ich auf ihrem Weg zum Schreiben begleite. Ich gehöre zum Team des Bookerflyclub, einer Autorencommunity, wo wir regelmäßig Workshops und Weiterbildungen zu den Themen Schreiben, Buchveröffentlichung, Genres, Marketing usw. anbieten, Autoren einladen und gemeinsam schreiben und vieles mehr. Wir haben gerade die Umsetzungskongress für Autoren organisiert mit über 60 Experten. Im Club gebe ich regelmäßig Workshops. Und dann schreibe ich jeden Tag an meinen eigenen Büchern. Kein Tag ohne mindestens einen Satz, doch im Schnitt werden es immer so um die 1000 Wörter.

Foto: Ann-Kristin Vinterberg – die Geschichtenhebamme

Lesetier: Wow, da ist ja wirklich eine Menge los bei dir! Woher holst du dir denn die Inspirationen für deine Bücher?

Ann-Kristin Vinterberg: Die hole ich nicht, die fliegen mir zu. Die Welt ist voller Inspirationen. Sie ist konfettibunt, wie Katrin Grieco von der Kinderbuchmanufaktur immer so schön sagt. Es können Dialogfetzen aus der U-Bahn sein, lustige Schuhe oder ein Satz in einem Buch. Vor allem halte ich Ideen und all diese Schätze in meinem Tagebuch fest.

Lesetier: Welches deiner Bücher möchtest du uns besonders empfehlen und warum?

Ann-Kristin Vinterberg: Natürlich Spensa, mein neuestes Buch. Ich liebe Spensa. Sie hat es nicht leicht, ist durch die Gespensterprüfung gerasselt und hat diese merkwürdigen schwarzen Hände. Klar, sie stellt sich die Frage: Warum bin ich anders? Bin ich überhaupt ein richtiges Gespenst? Und dann ist das trotz aller Anstrengung gar nicht so einfach, jemanden einen Schrecken einzujagen. Aber Spensa gibt nicht auf, sie macht weiter, erlebt lustige Abenteuer und schimpft gern. Mir hat das Buch so viel Spaß gemacht, weil ich einfach mal richtig fabulieren konnte, meiner Fantasie keine Grenzen setzen musste, ich durfte mir lustige Namen und Wörter ausdenken. Und das habe ich genossen. Diese Freude ist auf meine kleine Leser abgefärbt, die mir schreiben, wie sehr sie Spensa lieben. Es war auch das erste Buch, das von mir als Hörbuch kam und ich habe die Zusammenarbeit mit der Illustratorin Elena Buono und dem Sprecher geliebt. Plötzlich hatte ich das Gefühl, das Spensa noch lebendiger wurde. Das war ein unaussprechliches Erlebnis.

Coverillustration von „Spensa“, entworfen von Elena Buono

Lesetier: Das klingt großartig! Und ist es auch wirklich, denn wir hatten ja schon die Freude mit Spensa Bekanntschaft zu machen. Aber dazu später mehr. Noch eine andere Frage: Hast du ein Lebensmotto? Wenn ja, welches?

Ann-Kristin Vinterberg: Nicht nur eins. Ich schreibe Tagebuch und jedes Tagebuch hat ein Motto, einen Fokus. Aber ich glaube, wenn man etwas über mein Leben schreiben sollte, dann würde es dieses Wort ausdrücken: Dankbarkeit. Dankbarkeit für die vielen kleinen Geschenke des Alltags, für das Leben, für meine Menschen, meine Leser, für meine Kreativität, für meinen Glauben. Übrigens gehöre ich einem Autorinnenquartett an. Wir sind die Glücksschreiberinnen. Passt gut, oder?

Foto: Ann-Kristin Vinterberg – eine der vier Glücksschreiberinnen

Lesetier: Passt wirklich sehr gut! Wenn wir schon bei Glück sind: Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ann-Kristin Vinterberg: Für die Welt: Das die Pandemie ein Ende finde und wir achtsam mit unserem Planeten umgehen – also auch etwas gelernt haben in dieser Zeit mit Reiserestriktionen und dem Slow-Living in dieser Zeit. Dass wir kleinen Menschen mehr Gehör schenken und ihnen ein Zuhause hinterlassen, in dem sie gern wohnen wollen. Dass Frieden herrscht und man auf Dialog setzt und wir entdecken: Die Vielfalt erst macht unsere Planeten wunderschön. Dass du du bist und ich ich, das macht unsere Welt schön. Dass Menschen wieder die Stille entdecken, damit sie wirklich miteinander kommunizieren können und ihre innerste Stimme hören. Und für mich persönlich: Dass ich zu einer größeren Work-Life-balance finde und immer besser vom Schreiben leben kann und mit meinen Geschichten die Herzen meiner Leser berühre. Das wünsche ich mir. Das ist meine Berufung.

Lesetier: Das glaube ich auf jeden Fall, dass das deine Berufung ist! Möchtest du uns denn verraten, an welchem Projekt oder Buch du gerade arbeitest?

Ann-Kristin Vinterberg: Im Moment an dem zweiten Teil von Spensa, weil die Leser eine Fortsetzung wollten. Das macht mich so dankbar und glücklich. Im Laufe des Sommers will ich einen Erwachsenenroman fertig stellen und einen Schreibratgeber. Ein Kinderbuchverlag hat mich um ein Expose für ein Buch gebeten, daran arbeite ich auch noch. Und sollte jemand Lust haben, als Testleser für Spensa 2 einzuspringen, dann meldet euch einfach bei mir.

Illustration aus“Spensa“: Das kleine Gespenstermädchen müht sich sehr endlich jemanden fürchtlich zu erschrecken…
Illustratorin: Elena Buono

Lesetier: Ich bin hauptberuflich Tierärztin und viele meiner Geschichten drehen sich um Tiere, daher noch ein paar spezielle tierische Fragen: „Gundsatzfrage“: Hund oder Katze? Und warum? 

Ann-Kristin Vinterberg: Katze, weil sie so eigenwillig sind. In meinem neuem Spensa Buch gibt es auch eine Katze Kate Olivia von Einohr … Katzen haben ein Lebensgefühl wie ich: Entspannt, sie dehnen sich, wie ich beim Yoga, und sie wollen ihr Leben selbst bestimmen. So bin ich auch …

Lesetier: Was ist dein Lieblingstier? Und warum?

Ann-Kristin Vinterberg: Schnecke. Sie trägt ihr Haus immer mit sich rum. Ich bin ein sehr introvertierter Mensch. Für mich ist es wichtig, dass ich mich überall zurückziehen kann. Das symbolisiert die Schnecke. Sie reist, ist unterwegs, erobert die Welt, obwohl sie klein und langsam ist, aber sie hat immer ihre Schneckenhaus bei sich. So wie ich. Ich weiß, ich habe mein inneres Zuhause immer mit mir. Mir ist Achtsamkeit sehr wichtig und die Work-Life-Balance. Ich organisiere auch Wochen im Schweigen für Interessierte. Meines Erachtens ist unsere Welt viel zu hektisch und laut. Daran erinnert mich die Schnecke immer wieder: Egal, wo du bist, egal, wie laut es ist: Du kannst dich in dein inneres Haus zurück ziehen und Ruhe finden.

Lesetier: Hast du ein eigenes Haustier?

Ann-Kristin Vinterberg: Als Kind hatte ich nur einen Kanarienvogel in gold-gelben Tönen, wunderschön, sowohl die Farben als auch sein Gesang. Der hieß Tirili. Ich hatte auch ein kleinen Hamster, Hugo, aber mehr Tiere wollten meine Eltern nicht, auch wenn ich gebettelt habe und dachte, unter dem Kirschbaum im Garten könnte doch ein Pferd grasen. Mein Sohn hatte zwei Hamster, eine Josefine, deren Name länger war als ihr kleiner Körper, und Fleur, eine sehr feminine, weiße Hamsterdame, die am liebsten in meiner Kaschmirjacke kuschelte

Die Hamsterbande.

Die schneeweiße Fleur eingekuschelt in Kaschmir.

Lesetier: Oh wie süß! Und meine Lieblingsfrage: Wenn du ein Tier sein könntest, welches wärst du gern und warum?

Ann-Kristin Vinterberg: Mythologische Tiere gelten hier nicht, oder? Ich glaube, dann wäre ich gern die Küstenschwalbe. Sie wohnt am Meer wie ich, aber sie ist eine Langstreckenfliegerin, und fliegt von allen Zugvögeln am Weitesten. Sie brütet in der Arktis und fliegt dann in die Antarktis, um zu überwintern. Das finde ich faszinierend. Ich wollte schon immer fliegen und träume oft davon. Vielleicht mache ich eines Tages meinen Traum wahr und springe Fallschirm oder fliege mit einem Drachen. Das wär was ….

Lesetier: Wenn der Drachen auch feuerspuken kann, wäre ich bei diesem Flugritt gerne dabei! Ich danke dir von Herzen für dieses wunderbare Interview und die Bereitstellung der tollen Fotos und Illustrationen und wünsche dir alles Liebe für die Zukunft!

Und nun möchte ich euch natürlich auch gern noch unseren Leseeindruck von „Spensa“, dem kleinen Gespenstermädchen geben:

In dem Kinderbuch „Spensa“ von Ann-Kristin Vinterberg lernen wir das kleine Gespenstermädchen „Spensa“ mit den schwarzen Schmutzfingerhänden kennen. Spensa steht kurz vor ihrer Gruselprüfung, um in die Gespensterzunft von Zittern und Fürchten aufgenommen zu werden. Leider hat sie diese schon einmal nicht bestanden, daher ist ihr dieses Mal auch sehr mulmig zu Mute. Sie macht ihre schwarzen Gespensterhändchen dafür verantwortlich. Da sonst kein anderes Gespenst solche Hände hat, muss dies wohl die Ursache dafür sein, dass sie es nicht schafft einen Menschen fürchterlich zu erschrecken. Am Ende lüftet sich zumindest das Geheimnis über die Herkunft ihrer schwarzen Gespensterhändchen, aber ob sie auch die Prüfung besteht und in die Zunft von Zittern und Fürchten aufgenommen wird?

Das Cover und die Illustrationen von Elena Buono sind schaurig schön und passen sehr gut zu der Gespenstererzählung. In der Geschichte werden kleine Nachtgespenster dazu ermutigt über sich hinaus zu wachsen und sie lernen, dass es vollkommen okay und überhaupt nicht schlimm ist, wenn man nicht wie alle anderen ist.  

Der Schreibstil der Autorin ist angenehm frisch und wunderbar malerisch. Man kann sich großartig in Spensa einfühlen und leidet geradezu mit ihr mit. Die Autorin erweckt das kleine Gespenst so zum Leben, dass selbst meine noch recht kleine Tochter konzentriert der Geschichte lauschte. Fröhlich zitiert sie nun die kleine Gespensterdame: „Eins, zwei, drei und alles ist vorbei!“ Denn sie hat die kleine Spensa lieb gewonnen und ihr kleines gebasteltes Gespenst vom letzten Halloweenfest nun Spensa getauft. Ich denke, das sagt mehr als ich in tausend Worten hier zusammenfassen könnte…

Fazit: Absolute Leseempfehlung für kleine Nachtgespenster, die ein kleines aufregendes Gruselabenteuer suchen und auch über sich hinaus wachsen wollen!

Copyright © 2021 - Sarah Gutmann